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Titel
Pagus, castellum et civitas. Études d'épigraphie et d'histoire sur le village et la cité en Afrique romaine


Autor(en)
Aounallah, Samir
Reihe
Ausonius éditions: Scripta antiqua 23
Erschienen
Paris 2010: de Boccard
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lennart Gilhaus, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In der Einleitung dieser Habilitationsschrift formuliert Samir Aounallah seine zentrale Fragestellung: „Comment le village romano-africain, indépendamment de son statut, est-il né, a-t-il grandi, puis est-il devu ville, quel que fût son statut?“ (S. 16). Die rechtlichen Verhältnisse der Siedlungen und Städte des römischen Nordafrika in den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. sind sehr komplex, und insbesondere ihre Entwicklungen sind nur schwer nachzuvollziehen. Das liegt insbesondere am Quellenmaterial: Neben einigen spärlichen Hinweisen in literarischen Quellen ist man insbesondere auf Inschriften aus den Siedlungen und Städten selbst angewiesen. Mit diesem fragmentarischen Quellenbefund hat sich die Forschung vielfach auseinandergesetzt.

Was kann also die vorliegende Arbeit und ihre Beschäftigung mit der Entwicklung von pagus, castellum und civitas im kaiserzeitlichen Nordafrika Neues bieten? Zum einen ist Aounallah der Erste, der die abhängigen, nicht als selbstständige Städte anerkannten Gemeinden (pagus, castellum) und ihre Entwicklungen in einer Monographie gebündelt behandelt – die bisherige Forschung hat sich vor allem in einer kaum noch zu überschauenden Anzahl von Artikeln mit Einzelfragen beschäftigt. Zum anderen haben Inschriftenneufunde und neue Lesungen ältere Überzeugungen mehrfach überholt.1 Und gerade die Grabungen in Uchi Maius, aber auch neue Einzelfunde haben Aounallah zu einer Neubewertung lange bekannter Inschriften veranlasst, sodass sein Werk in Teilen auch mehr als eine Synthese von Forschungsergebnissen ist.2

Die Monographie ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt widmet sich Aounallah den pagi stipendiariorum im Kontext der Eroberung und herrschaftlichen Durchdringung Afrikas durch die Römer (S. 19–28). Seiner Ansicht nach hätte es in republikanischer Zeit abgesehen von einigen wenigen civitates liberae und älteren königlichen Besitzungen keine rechtlich anerkannten Städte gegeben. Vielmehr seien die Siedlungen zu großen pagi zusammengefasst worden, erst Cäsar sei dazu übergegangen, Stadtrechte zu verteilen. Allerdings kann man meiner Ansicht nach nicht ausschließen, dass schon etwa während des Iugurthinischen Krieges oder in den folgenden Jahren Stadtrechte verliehen worden sind, wofür es im Werk von Sallust zumindest einige Anzeichen gibt.3

Im folgenden Kapitel geht Aounallah der Frage nach, wie und wann aus diesen administrativ zusammengefassten Siedlungen rechtlich anerkannte und autonome Städte geworden sind (S. 29–42). Dabei befasst er sich exemplarisch mit einigen besonderen Fällen. Auf einer Patronatstafel der augusteischen Zeit wird ein pagus von mehreren civitates stipendiariorum erwähnt (CIL VIII, 68). Nach Aounallahs Interpretation (S. 30–34) handelt hier nur der pagus, der auch eine eigene Versammlung und Vertreter hat, während für die civitates keine eigenen Versammlungen nachweisbar sind. Man muss sich allerdings fragen, wie Repräsentanten für die pagus-Versammlung (aus)gewählt wurden, wenn die civitates keine eigenen politischen Institutionen hatten. Und deuten nicht insbesondere die Bezeichnung civitas und die Ethnika der erwähnten Personen auf die rechtliche Existenz der civitates hin? Sicher ist jedoch, dass zumindest einige Städte später autonom waren: Was jedoch mit dem pagus geschehen ist, bleibt aufgrund mangelnder Quellen unklar. Die Angabe einer Ära auf zwei Inschriften, die sich auf die Stadt Chul beziehen (AE 1992, 1805; AE 1992, 1806), deutet Aounallah als Erinnerung an die Erhebung zu einer autonomen Stadt (S. 34–35), wofür es aber meines Wissens keine Parallelen gibt.4 Für Curubis konstruiert Aounallah eine dichte Reihung von Statusveränderungen (S. 45–46): In einer Inschrift aus dem Jahr 47 v.Chr. werden keine städtischen, sondern nur römische Beamte genannt (CIL VIII, 979 = 24099), Curubis sei also keine autonome Stadt gewesen. Für das Jahr 46 v.Chr. sind in der nun autonomen Stadt Sufeten belegt (CIL VIII, 10525), wenig später wurde die Stadt dann zur Kolonie. Nun kann man meines Erachtens aber nicht aus der Abwesenheit von städtischen Beamten in CIL VIII, 979 = 24099 darauf schließen, dass die Stadt keine eigenen Beamten hatte: Hier lassen nämlich zwei Legaten und ein Praefectus der Pompejaner die Stadt im Kontext der Bürgerkriege befestigen und dokumentieren mit der Inschriftensetzung ihre Präsenz in der Stadt. Die Erwähnung von städtischen Beamten muss man hier also nicht zwangsläufig erwarten. Curubis könnte durchaus schon vor 46 v.Chr. als civitas rechtlich anerkannt gewesen sein. Der Fall von Thugga ist etwas klarer: Die autonome civitas existierte sicher in claudischer Zeit, wahrscheinlich wurde sie unter Augustus als solche installiert (S. 36–40). Ungeklärt bleibt hingegen der Fall der in CIL VIII, 25450 erwähnten Chiniavenses peregrini (S. 40–41).

Aounallah beschäftigt sich anschließend mit der Beschreibung der Städte in Plinius’ Naturgeschichte (S. 43–58), wobei er insbesondere versucht, den Begriff der oppida civium Romanorum zu deuten. Seines Erachtens bezieht sich der Text auf die Jahre 46/45 v.Chr., kurz nach der Schlacht von Thapsus. Die oppida civium Romanorum bildeten keine einheitliche juristische Kategorie, der Begriff bezeichne vielmehr in erster Linie eine Siedlung. Der plinianische Bericht würde daher eine offene Situation wiedergeben, in der der Status der verschiedenen Siedlungen (noch) nicht eindeutig geklärt ist, was ja zur Bürgerkriegssituation gut passen würde. Später seien die oppida civium Romanorum zu pagi, coloniae oder municipa erhoben und der Status der oppida libera als civitates liberae bestätigt worden. Aounallahs Interpretation ist in sich schlüssig, hat aber einige Schwachstellen: Nach Aounallahs Deutung hätte es nach Thapsus zunächst als rechtlich anerkannte Städte nur die sechs coloniae gegeben (explizit S. 47). Warum hätten die bereits existierenden civitates liberae ihren Status alle verlieren und wieder erlangen müssen? Zudem könnte Plinius für die Zusammenstellung seiner afrikanischen Geographie mehrere Quellen benutzt haben, die auch nicht unbedingt alle aus der gleichen Zeit stammen müssen. Das würde erklären, warum einige iulische coloniae erwähnt sind, während andere Siedlungen noch als oppida libera auftauchen. Der plinianische Text wirft also insgesamt mehr Probleme auf, als dass er Antworten bieten kann.

Das Kapitel zu den pagi und castella als Untereinheiten von Städten (S. 59–118) ist das Herzstück von Aounallahs Arbeit – und auch das innovativste. Gerade in Bezug auf die große Kolonie von Karthago kann Aounallah feststellen, dass die pagi hier nicht einheitlich strukturiert waren. Er unterschiedet hier besonders das Miteinander von römischem pagus und peregriner civitas (wie in Thugga) und die Existenz von exklusiven pagi ohne eine civitas (wie in Uchi Maius). Einen Sonderfall bildet die civitas mit zwei partes wie in Thignica. Für Sicca Veneria kann Aounallah überzeugend nachweisen, dass das Territorium der Kolonie ähnlich wie im Fall von Cirta in einzelne pagi mit castella als Hauptorten untergliedert war, die sowohl cives Romani als auch peregrini beheimateten. Eine ähnliche Untergliederung vermutet Aounallah auch für Ammaedara. Die territoriale Verwaltung der coloniae war also stark divergierend und auch innerhalb des Territoriums einer colonia nicht einheitlich. Insgesamt scheinen zum Territorium der großen coloniae Karthago, Cirta und Sicca Veneria wesentliche Teile der Provinz gehört zu haben. Welche Bedeutung die augusteische Kolonie von Assuras hatte, muss aber aufgrund mangelnder Quellen offen bleiben.

Im letzten Kapitel konzentriert sich Aounallah darauf, wie aus den pagi als Untereinheiten der coloniae Städte geworden sind (S. 119–156). Hier gibt Aounallah im Wesentlichen den Stand der Forschung wieder: Die pagi entwickeln im Laufe der Zeit eigene Institutionen, lösen sich langsam von den coloniae und verbinden sich (falls vorhanden) stärker mit den lokalen civitates, erhalten verschiedene Rechte und werden schließlich – vor allem in severischer Zeit – zu municipa und coloniae erhoben. Kopfzerbrechen bereitet allerdings Aounallahs von L. Poinssot übernommene und modifizierte Ansicht, dass es in Thugga zwei Siedlungszentren, also eine klare örtliche Trennung zwischen pagus und civitas gegeben hätte (vgl. S. 124). Insbesondere M. Khanoussi, aber auch die neueren tunesisch-deutschen Grabungen in Thugga haben mehrfach das Gegenteil nachgewiesen.5 Ohnehin scheint Aounallah von einem recht starken Gegensatz zwischen Mitgliedern von pagus und civitas auszugehen, der erst ab hadrianischer Zeit langsam aufgehoben wurde und dann zu einer Einigung führte. Wie aber S. Ritter in einer wichtigen Rezension betont hat, scheint für Thugga und andere Städte in Nordafrika schon sehr schnell die horizontale Spaltung in Eliten und Nicht-Eliten wesentlich wichtiger gewesen zu sein als die vertikale juristisch-institutionelle Trennung in pagus und civitas.6

Die Monographie hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Aounallahs großes Verdienst liegt darin, die territoriale Organisation der coloniae unter Augustus analysiert zu haben. Gerade die karthagische pertica war eben nicht, wie vielfach in der Forschung offen oder stillschweigend angenommen, einheitlich gestaltet, sondern zeichnete sich durch eine organisatorische Vielfalt aus, deren Facetten wir heute nur noch zum Teil erfassen können. Bezüglich dieser Aspekte bietet Aounallahs Werk sicher eine solide Grundlage für weitere Forschungen. Viele Einzelinterpretationen – gerade zur Herrschaftsorganisation in republikanischer und cäsarischer Zeit – sind jedoch meines Erachtens in der hier präsentierten Form kaum haltbar.7

Anmerkungen:
1 Vgl. besonders Cl. Poinssot, Immunitas perticae Carthaginensium, in: CRAI 1962, S. 55–76, der anhand eines Inschriftenneufunds (AE 1963, 94) die Existenz einer weitausgedehnten pertica Karthagos nachgewiesen hat.
2 Zu den Inschriften aus Uchi Maius vgl. A. Ibba (Hrsg.), Uchi Maius 2. Le iscrizioni, Sassari 2006; zu den neueren Einzelfunden gehören insbesondere drei Inschriften aus Siviri, die für diesen Ort die Existenz von pagus und civitas belegen (vgl. dazu S. Aounallah; L. Maurin, Pagus et civitas Siviritani. Une nouvelle commune double dans la pertica de Carthage, in: ZPE 167 (2008), 227– 250).
3 Vgl. dazu insbesondere B. D. Shaw, The Elder Pliny’s African Geography, in: Historia 30 (1981), S. 424–471.
4 Die in Afrika bekannten Ären beziehen sich wie im Fall der Mauretania Caesariensis auf die Provinzgründung oder auf bestimmte Kulte (so insbesondere beim Cereres-Kult in Karthago).
5 Vgl. M. Khanoussi, Thugga (Dougga) sous le Haut-Empire: une ville double?, in: Africa Romana 10 (1994), S. 597–602 und der erste Bericht zu den tunesisch-deutschen Grabungen in Thugga (M. Khanoussi; V. M. Strocka (Hrsg.), Thugga I. Grundlagen und Berichte, Mainz 2002), die beide von Aounallah nicht rezipiert werden.
6 S. Ritter, Götter und ihre Verehrer in Nordafrika: Die Heiligtümer von Thugga als Modellfall, in JRA 19 (2006), S. 549–558, hier 556–558 (als Rezension zu S. Saint-Amans, Topographie religieuse de Thugga (Dougga), ville romaine d’Afrique Proconsulaire (Tunisie), Bordeaux 2004.
7 Ärgerlich ist zudem, dass das Literaturverzeichnis schlampig erstellt wurde: Teilweise fehlen Angaben oder sind mit „???“ versehen. Titel von nicht-französischen Beiträgen enthalten zum Teil orthographische Fehler, wobei ohnehin so gut wie keine anderssprachige Literatur von Aounallah herangezogen wird.

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